
Friedrich Schiller und die Entwicklung des menschlichen Potenzials
Quelle: morgenstunden.substack.com
Lieber Miko,
ich möchte dir heute einen Gedanken senden, der mich schon eine ganze Zeit bewegt. In den vergangenen Briefen haben wir uns bemüht, den Lesern eine Vorstellung davon mitzuteilen, dass es die kreative Vernunft ist, die uns Menschen mit Gott verbindet, und die der Weg ist, auf dem wir mit ihrer Anwendung die Schöpfung verwirklichen.
Ich bin angeregt worden, mich überhaupt mit diesen Fragen zu beschäftigen, durch ein eher schweres Thema. Darüber hatte ich auch schon berichtet. Es war die Problematik, dass es offensichtlich Menschen gibt, die glauben dass sie besser sind als andere, und die über Mittel verfügen, diesen Gedanken einer “Auslese” mit dem Gedanken einer “Verbesserung des Menschen durch Verschmelzung mit Technik” zu verbinden.
Ich fand und finde diesen Gedanken fürchterlich und in meiner Beschäftigung mit dem Thema bin ich damals auch auf Friedrich Schiller gestoßen, der den Satz gesagt hat, wonach es “die Schönheit ist, durch welche man zu der Freiheit wandert”. Dieser Satz ist ein wahrhaft poetischer Satz. Er ist für manche vielleicht wirklich zu schön, um wahr zu sein, gar zu naiv. Und auch ich habe mich zunächst schwergetan damit, die Bedeutung dieses Satzes zu verstehen. Inzwischen glaube ich, dass ich einen ganz guten Zugang dazu gefunden habe, wie dieser Satz Sinn macht.
Davon möchte ich dir heute berichten.
Friedrich Schiller ist ein Dichter gewesen, der vor über 250 Jahren geboren wurde und der unter Bedingungen lebte, in denen Monarchen, Fürsten, über “ihr Volk” herrschten. Und viele dieser Fürsten waren auch Menschen, die sich und ihresgleichen für etwas Besseres hielten. Menschen, die glaubten, dass Gott sie in diese Herrschaft eingesetzt habe, woraus sich auch ihr eingebildetes Vorrecht ableitete.
Schiller hat mit diesem Vorrecht und besonders mit den konkreten Handlungen jener Monarchen in der damaligen Zeit arge Probleme gehabt. Schiller war ein Mann, der seinerseits eine sehr gute Bildung erhalten hatte, die unter anderem auch die griechischen Philosophen, die griechische Klassik, also Platon, Pythagoras, Archimedes und auch viele andere Humanisten in ihrer Folge umfasst hat. Es ist eine Bildung gewesen, wie sie auch Moses Mendelssohn erfahren hatte, der ja nur wenige Jahrzehnte vor Friedrich Schiller lebte, und auf den diese Morgenstunden in ihrem Ansatz als Inspiration zurückgehen.
Friedrich Schiller hat dann damals seine Begabung als Dichter und Philosoph entdeckt. Er hat also mit Worten und in Texten in seiner Zeit gewirkt. Er hat seine Zeit aber auch beobachtet. Schiller war überzeugt, dass es möglich ist, den Menschen zu “veredeln”, aber eben nicht durch Auslese einiger weniger, sondern dadurch, dass dem einzelnen Menschen geholfen wird, seine durch Geburt gegebene göttliche Anlage zu realisieren. Es ist ein Gedanke, den vor Schiller auch viele andere Philosophen und Gelehrte geteilt haben, unter anderem auch Philosophen jenseits der Grenzen von Europa, wie zum Beispiel Konfuzius, der vor bald 2500 Jahren in China wirkte. Allen diesen Philosophen (und Philosophie ist die Liebe und die Suche der Weisheit) ist es gemeinsam, dass sie die Welt betrachten in ihrem physischen Sein und gleichzeitig die Ursache, den Urgrund des Lebens, zu dieser physischen Realität in Beziehung gesetzt haben. Insofern haben alle Philosophen diese göttliche Anlage im Menschen erkannt.
Sie haben übrigens Gedankendinge mit ihrer Vernunft kreativ erschaffen und in ihrer Kunst, der Philosophie, ausgedrückt. Das hat auch Friedrich Schiller getan. Er lebte in der Zeit der Aufklärung, und diese Zeit vor etwa 250 Jahren war geprägt von einem Streben nach Erkenntnis und Anwendung der Vernunft.
Es wurde damals nachgedacht über die universellen Menschenrechte und über Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit, also Werte, die mit dem Anspruch des Rechts zur absoluten Herrschaft einiger weniger Fürsten über viele Untertanen im Widerspruch standen.
Diese Gedanken führten dann zu Revolutionen, von denen die erste große Revolution in Amerika stattfand wo sich die 13 Kolonien von der Herrschaft des Königs von England lossagten. Der König von England schickte damals Soldaten nach Amerika, um die Revolution mit Gewalt zu beenden. Auch deutsche Soldaten wurden damals von ihren Fürsten an den König von England verkauft, um gegen die amerikanischen Kolonien und ihren Wunsch nach Unabhängigkeit Krieg zu führen. In seinem Stück Kabale und Liebe hat Schiller das kritisiert, wofür ihn der Herzog von Württemberg, in dessen Diensten Schiller stand, bestrafte, indem er ihm das Schreiben verbot.
Die amerikanischen Kolonien wurden in ihrem Kampf für Unabhängigkeit auch von vielen Menschen aus Frankreich unterstützt, unter anderem vom Marquis de La Fayette. Über diesen Mann, hat später Ludwig van Beethoven, der ein Freund von Schiller war, seine Oper “Fidelio” geschrieben.
Nach dem Erfolg der amerikanischen Revolution 1776 erfolgte dann ein Übergreifen dieser Freiheitsbewegung nach Frankreich, wo im Jahr 1793 die französische Revolution verkündet wurde. Dies erfolgte zunächst auf vernünftigem Weg und im Einvernehmen mit dem König von Frankreich. Der wurde, unter anderem von La Fayette, überzeugt, dass es gerecht und gut ist, die Herrschaft über sein Volk auf eine vernünftige Verfassung zu gründen.
Diese vernünftige Entwicklung war für andere Fürsten in Europa, insbesondere für den König von England, sehr gefährlich. England hatte ja bereits seine amerikanischen Kolonien verloren, aus denen die Vereinigten Staaten von Amerika hervorgingen, und mit dem Überschwappen dieser Entwicklung nach Europa nach Frankreich drohte der Herrschaftsanspruch des Königs von England, aber letztendlich der absolute Machtanspruch aller Fürsten, grundsätzlich im Zweifel zu geraten. Wohlgemerkt: hierbei ging es zunächst einmal nur um den absoluten Herrschaftsanspruch, der ja in Frankreich durch die Einführung einer Verfassung mit genau geregelten Rechten und Pflichten für das Volk und für den König mit Gewaltenteilung abgelöst wurde. Die Erklärung Universeller Menschenrechte erfolgte in dieser Revolution, womit die absolute Herrschaft abgeschafft wurde.
In einer absoluten Monarchie konnte der König nach Belieben tun und lassen, was er wollte, nur weil er glaubte von Gott eingesetzter König zu sein. Das war natürlich eine ziemliche Vergewaltigung der Vorstellung von Gott, aber davon an anderer Stelle.
Für uns ist jetzt wichtig, dass Friedrich Schiller zunächst begeistert war von der Entwicklung in Frankreich, also von der “vernünftigen” Verabschiedung einer Verfassung und von der Abschaffung des Absolutismus und der Willkür, gegen die er auch seine Stücke verfasst hatte. Allerdings gelang es dann jenen, die gegen diese Entwicklungen in Frankreich waren, also den Fürsten in Europa, in Frankreich eine Entwicklung hervorzurufen, die die Revolution in einen Exzess von Gewalt und Zerstörung verwandelte.
In diesem Zuge wurden der französische König und seine Familie und viele andere Menschen, auch viele Denker und Wissenschaftler, brutal ermordet und damit das Bild des Schreckens mit der Vorstellung einer “Umwälzung”, denn das ist das deutsche Wort für „Revolution“, verbunden. Grundsätzlich war das nämlich vorher überhaupt nicht dasselbe. Eine Umwälzung konnte auch ohne Gewalt, nämlich freiwillig wie in Frankreich erfolgen. Und so war es in Frankreich ja zunächst im Wesentlichen auch geschehen.
Über diese Eskalation der Gewalt und die Schreckensherrschaft, die sich dann über Frankreich ergab, und die letztendlich zur Schaffung einer neuen absoluten kaiserlichen Monarchie unter Napoleon führte, war Schiller vollends entsetzt und er hat darüber nachgedacht, wie solche Entwicklungen, in denen vernünftige Prozesse wie die Gestaltung eines Staatswesens durch eine verfasste Ordnung, nach Recht und Gesetz und Vernunft, davor bewahrt werden konnte, in Willkür, Gewalt und Chaos abzugleiten.
In dieser Situation hat Friedrich Schiller damals dann einen sehr langen Text, “Über die ästhetische Erziehung des Menschen” in einer Reihe von 27 Briefen verfasst. Es ist in diesem Text, dass sich die Formulierung “weil es die Schönheit ist, durch welche man zur Freiheit wandert” findet. Und dieser Text hat mich vor bald einem Jahr dann sprichwörtlich gefesselt, so dass ich mich daran gemacht habe, ihn zu studieren, um ihn zu verstehen. Wie gesagt: heute glaube ich, dass ich zumindest ansatzweise verstehe, was Schiller damit gemeint haben dürfte.
Und damit komme ich nun zum “springenden Punkt” (auch diese Formulierung hat mich Schiller verwendet). Der springende Punkt ist nämlich der Aspekt, auf den es tatsächlich im eigentlichen Sinne ankommt).
Schiller hat erkannt, dass der Mensch ein Wesen ist, welches sowohl durch seine Sinne (Materie), zu denen das Gefühl, aber eben auch das Sehen, das Hören schmecken und anderes zählt, als auch durch den Verstand (Form) charakterisiert wird. Der Verstand ist die Fähigkeit zu denken und damit auch die Fähigkeit, sich weiter zu entwickeln, das Gute zu erkennen, das Richtige zu tun und das Schöne wertzuschätzen.
Allerdings hat Schiller auch erkannt, dass es diese zwei Elemente waren, also die Emotionalität (die Materie) und der kalte, gefühllose Verstand (die Form), welche in Frankreich dazu beigetragen haben, dass die Situation aus dem Ruder geriet und Chaos und Gewalt das Land und schließlich ganz Europa in Angst und Schrecken versetzt haben. Die Frage für Schiller war also: wie ist es möglich, soetwas zu verhindern? Oder: ist es überhaupt möglich? Ist der Mensch vielleicht gar wirklich unfähig zu vernünftigem Handeln, weil immer ein Element das andere dominiert? Das Gefühl wie Wut etwa über den Verstand, oder die unmenschlichen kalten Gesetze des Absolutismus als vom Verstand erdachte Ungerechtigkeit über das Mitgefühl.
Für Schiller war ganz klar: der Mensch ist edel und gut in seiner göttlichen Anlage, und es ist nur eine Frage, wie sich diese Anlage entwickeln lässt, um zu verhindern dass entweder die bloße rasende Wut (Materie), oder aber der kalte herzlose Verstand (Form) ohne jedes Mitgefühl zu Entartungen führt, die Gerechtigkeit und Güte unmöglich machen. In dieser Situation hat Schiller erkannt und formuliert, dass “es die Schönheit ist durch, welche man zur Freiheit”, also zu einer Situation gelangen kann, in der wir „frei“ sind von solchen unmenschlichen Exzessen von Gewalt, Mangel, Zerstörung und dergleichen. Die Schönheit verbindet die Form mit der Materie.
Du fragst dich sicher, wie das gehen soll. Wie kann die Schönheit eine solche Entwicklung zur Freiheit bewirken? Was steht dahinter? Hier kommen wir zur Lösung dieses scheinbaren Rätsels.
Sehen Sie auch die NARRATIVE #200 mit Dr. Uwe Alschner: Durch Schönheit in die Freiheit