
Inselbewohner können sich laut Recherchen nicht an vermeintlichen Aufenthalt der „Andromeda“-Segeljacht im Hafen von Christiansø erinnern / Zeugen mussten angeblich über Sichtung mehrerer US-Kriegsschiffe schweigen / Auch bisherige Ermittlungsergebnisse zum konkreten Tathergang werfen Fragen auf
Kopenhagen / Bornholm (multipolar)
Dänische Journalisten stellen die Ermittlungsergebnisse zu den Sprengungen der Nord-Stream-Pipelines des deutschen Generalbundesanwalts auf den Prüfstand. Diesen Ermittlungen zufolge soll eine Gruppe ukrainischer Staatsbürger für die Sprengung mittels Fernzündungssprengsätzen verantwortlich sein und dazu unter anderem eine Segeljacht namens „Andromeda“ genutzt haben. Wie jedoch der Norddeutsche Rundfunk (NDR) Ende September berichtete, befasst sich etwa der Podcast „Taskforce Nord Stream“ des dänischen Portals „Frihedsbrevet“ mit Ungereimtheiten und offenen Fragen. Auch der dänische Investigativjournalist Bo Elkjær, der unter anderem für die Tageszeitung „Dagbladet Information“ schreibt, sprach gegenüber dem NDR von einer unzureichenden Beweislage bezüglich der „Andromeda“.
Der bislang achtteilige, kostenpflichtig angebotene Podcast von „Frihedsbrevet“ startete am 31. August und damit gut eine Woche, nachdem die Generalbundesanwaltschaft die Festnahme, des Tatverdächtigen Serhii K. in Italien, vermeldete. Podcast-Produzent Thomas Arent geht mit seinem Reporter-Team verschiedenen potenziellen Spuren nach. Zu diesen zählt auch, in Folge sechs des Podcasts, der angeblich dreitägige Aufenthalt der „Andromeda“ im Hafen der Ostsee-Insel Christiansø unmittelbar vor dem Zeitpunkt der Anschläge. Laut NDR habe der Inselverwalter Søren Thiim Andersen den Reportern von „Frihedsbrevet“ berichtet, dass sich keiner der Inselbewohner an Boot oder Besatzung erinnern könne. In den Abrechnungen des Bezahlautomaten am Hafen finde sich ebenfalls kein Hinweis auf die Segeljacht.
Inselverwalter Andersen spreche außerdem über „drei amerikanische Kriegsschiffe“, die aufgrund einer ausgeschalteten Signalübermittlung zwar nicht auf elektronischen Seekarten auftauchten, allerdings von einer örtlichen Seenotrettungsmannschaft beobachtet worden seien. Über die Sichtung dieser Schiffe seien die Inselbewohner zum Schweigen verpflichtet worden. Das deckt sich mit der Aussage des Hafenmeisters der Insel, John Anker Nielsen gegenüber der dänischen Zeitung „Politiken“ Ende September 2024, der unter den besagten Schiffen die „USS Kearsarge“ beobachtet habe. Die demnach verhängten Schweigegebote „spielen auch in der achten und jüngsten Folge des „Frihedsbrevets“-Podcasts erneut eine Rolle.
Die „USS Kearsarge“ war zugleich Teil des NATO-Seemanövers „BALTOPS 22“, das vom 5. bis 17. Juni 2022 in der Ostsee stattfand. Laut Recherchen verschiedener deutscher Medien soll die Bundesregierung bereits 2022 durch die US-amerikanische CIA beziehungsweise den niederländischen Militärgeheimdienst vor einem Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines gewarnt worden sein, der im zeitlichen Zusammenhang mit dem „BALTOPS“-Manöver durchgeführt werden sollte. Diesen Recherchen zufolge hätten die Geheimdiensthinweise auf eine ukrainische Täterschaft hingedeutet.
Der dänische Journalist Bo Elkjær, der sich laut NDR seit Jahren intensiv mit dem Vorfall rund um die Sprengung der Gaspipelines Ende September 2022 auseinandersetzt, äußerte gegenüber dem deutschen Sender ebenfalls Zweifel an den offiziellen Darstellung des Generalbundesanwalts. Zu den offenen Fragen zählt für Elkjær unter anderem, warum keine Unterwasserdrohne eingesetzt wurde, wieso die Jacht in Rostock statt im näher gelegenen Polen gemietet wurde sowie die mangelnde Zurückhaltung der Gruppe angesichts von übertretenen Geschwindigkeitsbegrenzungen oder anderweitig aufsehenerregendem Auftreten. Elkjær erwähnt dabei auch die mutmaßliche Verbindung der beiden mietenden Personen zu Russland. Bereits 2024 führte der Journalist gegenüber dem NDR seine Überzeugung aus, dass „der Pfeil“ stattdessen in Richtung Russland „zeigt“, weil im fraglichen Tatzeitraum eine russische Militärflotte in der Ostsee verkehrte.
Dem stehen Recherchen des US-Journalisten Seymour Hersh gegenüber. In einem vielbeachteten Artikel vom Februar 2023 erwähnte er ebenfalls das Nato-Manöver „BALTOPS“ und beschuldigte die USA als Urheber des Sabotageaktes. Eine Nachfrage von Multipolar bei Elkjær und „Frihedsbrevet“ blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Fraglich ist überdies noch immer, inwieweit ein staatlicher Akteur für die Nord-Stream-Sabotage verantwortlich zeichnet. Die „Washington Post“ hatte 2023 unter Bezug auf anonyme Quellen berichtet, dass der damalige, oberste ukrainische General Walerij Saluschnyj eine entsprechende Mission bewilligt haben soll. Von Saluschnyjs Kenntnis der Mission habe auch der Spiegel im September 2024 durch ungenannte Quellen erfahren. Diese widersprachen mit ihrer Behauptung, Präsident Wolodimir Selenskyij sei nicht informiert gewesen, anderen „Insidern“, die das „Wall Street Journal“ im August 2024 zitierte. Laut deren Angaben habe sich Selenskyij erst infolge einer Intervention durch die CIA von dem Vorhaben distanziert.
Sowohl Dänemark als auch Schweden haben 2024 unter Verweis auf eine mangelnde nationale Zuständigkeit die Ermittlungen zu Nord Stream eingestellt. Schweden hatte die Ergebnisse seiner Ermittlungen zuvor der deutschen Bundesanwaltschaft übergeben.





