
1. 50 oder 51?
Die Flagge der USA, das sogenannte Sternenbanner, dürfte zu den weltweit besterkannten Flaggen eines fremden Staates gehören. Viele wissen auch, dass die weissen Sterne im blauen Feld die Bundesstaaten der USA repräsentieren – heute sind es also 50 Sterne bzw. Bundesstaaten. Etwas weniger bekannt ist, dass die roten und weissen Streifen für die 13 Gründungsstaaten stehen.
Der derzeitige Präsident der USA liess Anfang des Jahres verlauten, dass er der Ansicht sei, dass Kanada besser der 51. Bundesstaat werden solle. Das erregte nun einiges Aufsehen. Allerdings kann man der Idee eine gewisse Sinnhaftigkeit nicht absprechen. Schliesslich würde damit nur sozusagen abgerundet oder vollendet, was die „Gründerväter“ der USA Ende des 18. Jahrhunderts begonnen hatten: Die Umwandlung ehemals britischer Kolonien in den Staatenbund der USA – beginnend mit 13 Staaten, deren Unabhängigkeit 1783 anerkannt wurde.
2. Taxation
Man tut den Gründervätern der USA sicher nicht Unrecht, wenn man sie als überwiegend weisse, britische Kolonisten (später ex-Kolonisten) beschreibt. Vermutlich konnten die aus verschiedensten Gründen nach Nordamerika ausgewanderten „Engländer“ eigentlich zunächst recht gut mit dem Status als britische Kolonie leben. Auch mit der Anwesenheit von britischen Truppen in den diversen Forts dürfte man durchaus einverstanden gewesen sein, war doch die Bedrohung durch die Eingeborenen, der von ihrem Land vertriebenen Indianer, durchaus real – ebenso wie bewaffnete Auseinandersetzungen mit den anderen damals noch in Nordamerika präsenten Kolonialmächten (Frankreich, Spanien) möglich waren.
Dass die Kolonisten sich am Unterhalt eben jener Truppen beteiligen sollten, leuchtete im Prinzip vielleicht auch noch ein. Allerdings wurden die deswegen von Grossbritannien erhobenen Steuern nach 1860 deutlich erhöht, was erheblichen Unmut verursachte. Man kann deswegen sagen, dass die ursprüngliche Motivation für die Sezessionisten hauptsächlich ökonomischer Art war. Und als ja (noch) britische Staatsbürger sah man sich unfair behandelt, denn die Kolonisten hatten keinerlei Abgesandte im britischen Parlament, welches für die Festsetzung der entsprechenden Steuer- und Zolltarife verantwortlich war. Daraus entsprang dann auch einer der bekanntesten Slogans der sogenannten American Revolution:
„No taxation without representation!“ *1
3. Die „Wilde 13“
Es ging also darum, dass die Kolonisten eine Besteuerung durch „die Krone“ ablehnten, solange man nicht durch eigene, gewählte Repräsentanten im zuständigen Parlament auch Einfluss auf Höhe und Gestaltung dieser Abgaben nehmen konnte. Hier muss nun nicht die ganze komplizierte Geschichte dieser „American Revolution“ nacherzählt werden, es genügt der Verweis auf das Endresultat: Die ehemaligen Kolonien fochten mit den Briten um ihre Unabhängigkeit und erlangten sie schliesslich nach blutigen Schlachten *2. In den Folgejahrzehnten bzw. Jahrhunderten wurden dem „Erfolgsmodell“ USA beständig weitere Bundesstaaten hinzugefügt, bis eben die aktuelle Zahl von 50 erreicht war. Und das zuletzt (1959) als Bundesstaat aufgenommene, ehemalige Königreich Hawaii zeigt auch, dass dieser Staatenbund durchaus auch transozeanisch funktionieren kann.
4. Der Imperator hält Hof
Einem merkwürdigen Schauspiel konnten die weltweiten Medienkonsumenten Ende Juli beiwohnen: Der auch gelegentlich als „Führer der freien Welt“ vorgestellte US-Präsident, derzeit personifiziert von Mr. Donald Trump, schwebte da in sein schottisches Golfdomizil Turnberry ein, und lud die „Führerin des freien Europa“, die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, zu angeblichen „Verhandlungen“ dort ein. Wenig später wurde von beiden eine „Einigung im Zollstreit“ verkündet, die für den aufmerksamen Beobachter eher wie eine Totalkapitulation aussieht. Den Zöllen von mindestens 15% für in die USA eingeführte EU-Waren stehen 0% (in Worten null!) für in die EU eingeführten US-Waren gegenüber. Weiter wurde vereinbart, dass die EU von den USA Energieprodukte wie Oel und Gas (in Form von LNG) für hunderte Milliarden Euro beziehen wird. Ausserdem hat sich die EU verpflichtet, in US-Unternehmen zu „investieren“, ebenfalls im Umfang mehrerer Hundert Milliarden Euro bzw. Dollar. Zusammen mit dem vom letzten NATO-Gipfel beschlossenen Ziel des „5%-BIP-Anteils für Rüstung“, der ja auch zum Bezug von US-Rüstungsgütern in Multimilliarden-Euro-Höhe führen wird, ergibt das einen gigantischen, die Eine-Billion-Euro-Marke übersteigenden Vermögenstransfer von den EU-Staaten in die USA.
Wurde da wirklich „verhandelt“? Oder war am Ende Frau von der Leyen eine verdeckt ebenfalls für die USA agierende Agentin, die nur abnicken sollte, was in Washington schon beschlossen war? Zufrieden zeigte sich auf EU-Seite nach Verkündigung des Ergebnisses jedenfalls kaum jemand, nur Kanzler Merz fand noch Worte des Lobes für seine Parteikollegin von der Leyen.
5. Nummer 52
Wer in der Vergangenheit von den EU-Staaten als „Vasallen der USA“ sprach, wurde von den Politikern der Altparteien ebenso wie von den „meinungsführenden“ Medien als wirres Zeug Redender abgekanzelt. Obwohl das „V-Wort“ mittlerweile von diversen Vertretern der Trump-Regierung ganz offen verwendet wurde, z.B. von Vizepräsident J.D. Vance *3.
Angesichts der Vorgänge in Schottland (und in Brüssel) erscheint der Begriff aber mehr als angemessen. Zwar sind die ausgehandelten Zölle und sonstigen Abmachungen nicht direkt als Steuern zu bezeichnen, aber letztlich doch eine Art „Tributzahlung“ an einen Hegemon. Sollte man sich da nicht an das Vorbild der US-Kolonisten erinnern und ebenfalls „No taxation without representation!“ fordern?
Und rein technisch wäre es ja durchaus möglich, diese „representation“ durch Aufnahme der EU als US-Bundesstaat zu erreichen. Da wir Europäer uns gerne höflich geben, würden wir den Kanadiern sicher den Vortritt zugestehen (als Nr.51) und uns entsprechend mit dem Titel „52. Bundesstaat“ begnügen. Und das hätte doch viele Vorteile, da wir als Bundesstaat nicht mehr den vom US-Präsidenten „par ordre de mufti“ verordneten Zolltarifen unterworfen wären, sondern nur noch den Bundessteuern, die vom US-Kongress beschlossen werden müssen. Unsere „representation“ dort wären mindestens 2 Senatoren und eine gewisse Anzahl von Sitzen im „House of Representatives“. Weitere Vorteile:
Unsere Leitartikler in ZEIT, SPIEGEL, ARD und ZDF etc. könnten sich mit noch mehr Verve in die Kommentierung etwa der US-Präsidentschaftswahlen einbringen. Unsere Werbetexter sich mit noch mehr Hingabe der Anglisierung aller Werbebotschaften widmen. Unsere Universitäten sich noch mehr an US-Methodik in Lehrplänen und Drittmitteleinwerbung angleichen.
Eine grosse Umstellung für unsere Politiker-Eliten wäre es wohl kaum – nicht nur sprachlich (Englisch hat sich ja längst als Herrschaftssprache in der EU durchgesetzt). Das dauernde transatlantische Hin- und Her-„Jetten“, um sich die neuesten Washingtoner Direktiven abzuholen, könnte grösstenteils entfallen. Denn man hätte ja Zweitbüros und Zweitwohnungen in Washington und würde dort ohnehin den Grossteil seiner Zeit verbringen.
Vielleicht könnte Frau von der Leyen ihre „Lieblingsagentur“ McKinsey mit der Konzeptionerung und Umsetzung einer passenden schmissigen Kampagne, etwa unter dem Titel „Bruxelles goes to Washington“, beauftragen?
6. Oder doch Interessen?
Der natürlich eher satirisch gemeinte Vorschlag, sich als EU um Aufnahme als 52. Bundesstaat der USA zu bewerben, sollte nicht davon ablenken, die jeweiligen Interessen im Auge zu behalten. Dass die Abmachungen von Turnberry nicht im Interesse der Bevölkerungen der EU-Staaten sein können, dürfte klar sein. Die mit der Sprengung der NordStream-Pipelines *4 einsetzende De-Industrialisierung Deutschlands und anderer EU-Staaten wird voranschreiten, die EU-Konzerne als „vaterlandslose Gesellen„, die sie nach kapitalistischer Logik ja sein müssen, werden sich nach anderen Standorten als in der EU umsehen und diese oft genug in den USA finden. Firmen wie BMW oder Daimler-Benz sind ja schon längst mit (ausbaufähigen) Produktionsstandorten in den USA „engagiert“.
Aber wir haben von einem „stakeholder“ in diesem geopolitischen Schauspiel noch nicht gesprochen, und das sind die Brüsseler EU-Eliten. Für diese Bürokraten mit gelegentlich überbordendem Sendungsbewusstsein ist ein gewisser wirtschaftlicher Niedergang der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten durchaus tolerierbar, wenn sich daraus ein weiterer Machtzuwachs für die EU-Kommission ergibt.
Wie etwa die vereinbarten Einkäufe von verflüssigtem US-Erdgas (LNG) oder die „Investitionen in die US-Wirtschaft“ überhaupt realisiert werden sollen, ist bislang wohl offen. Will die EU-Kommission die Unternehmen der privaten Wirtschaft dazu zwangsverpflichten, was wohl die Einführung einer Art Kriegsrecht bedingen würde (wobei von „Kriegswirtschaft“ in Think-Tanks und Publizistik ja schon länger gesprochen wird)? Oder will die EU-Kommission selber und direkt als Käufer/Investor auftreten? Dann wäre wohl die Erhebung eigener „EU-Steuern“ folgerichtig. Und schliesslich auch das Recht, „als EU“ Schulden aufnehmen zu können.
EU-Steuern und EU-Schulden stehen schon länger auf der Wunschliste der „Eurokraten“, um den Staatenbund EU endlich in einen „richtigen“ Super-Staat EU nach dem Vorbild der USA umzuwandeln – allerdings noch stärker zentralistisch organisiert. Was die finale Auflösung der bisherigen Nationalstaaten wäre.
Sicher ist dagegen, dass das so oft vorgetragene Argument, nur eine „mächtige“ Europäische Union könne mit den bisherigen und zukünftigen Machtblöcken (USA, China) „auf Augenhöhe“ verhandeln, in Turnberry endgültig pulverisiert wurde.
*1 „Keine Besteuerung ohne Repräsentation!“
*2 Eine interessante historische Spekulation: Was, wenn die britische Seite nach etwas Hin und Her der Forderung der Kolonisten nach „Repräsentation“ stattgegeben und damit die Sezession verhindert hätte? Wäre dann Grossbritannien womöglich immer noch das Britische Empire und ein Reich, „in dem die Sonne nie untergeht„?
*3 Z.B. hier: https://www.politico.eu/article/jd-vance-europe-permanent-security-vassal-united-states/
*4 Diese grösste bislang bekannte Industriesabotage erfolgte ja praktisch ohne Widerstand der Betroffenen (man denke an Kanzler Scholz’ens Schweigen während der Pressekonferenz von Präsident Biden). Der danach zu beobachtende Unwille zur Aufklärung bestätigt m.E. die heimliche transatlantische Kollusion von gewissen Machtzirkeln.





